Biographisches zu Sacher-Masoch
Leopold von Sacher-Masoch wurde 1835 in Lemberg, in Galizien, geboren. Seine Vorfahren sind Slawen, Spanier und Böhmen, die Männer von Beruf Beamte des ungarisch-österreichischen Kaiserreichs. Sein Vater ist Polizeipräsident in Lemberg. Gefängnisszenen und Aufstände, die Masoch als Kind miterlebte, beeindruckten ihn tief. Sein ganzes Werk steht unter dem Einfluß des Minoritäten- und Nationalitätenproblems sowie der revolutionären Bewegung im Kaiserreich: galizische Erzählungen, ungarische Erzählungen, preußische Erzählungen. Häufig beschreibt er den Aufbau der bäuerlichen Gemeinschaften un den zwiefachen Kampf der Bauern gegen die österreichische Verwaltung und, vor allem, gegen die lokalen Grundbesitzer. Er begeistert sich für den Panslawismus. Die großen Männer sind für ihn, neben Goethe, Puschkin und Lermontov. Ihn selbst nennt man den Turgenjew Klein-Rußlands. |
Sein Werk ist bedeutend und ungewöhnlich. Er hat es als Zyklus, oder vielmehr als eine
Reihe von Zyklen angelegt. Der Hauptzyklus, «Das Vermächtnis Kains», sollte sechs
Themen behandeln: Liebe, Eigentum, Geld, Staat, Krieg und Tod (nur die beiden ersten Teile
sind abgeschlossen, aber die übrigen Themen soielen bereits in sie hinein). In ihnen
sollte das Erbe an Verbrechen und Qualen, unter dem die Menschheit leidet, zusammengefaßt
werden. Aber die Grausamkeit ist nur die Oberfläche über einem tieferen Geheimnis: in
der Kälte der Natur, der Steppe, dem gefrorenen Bild der Mutter entdeckt Kain sein
eigenes Schicksal. Und die Kälte dieser strengen Mutter ist eher so etwas wie eine
verwandelte Grausamkeit, aus der der neue Mensch hervorgehen wird. Es gibt also ein
«Zeichen| Kains, das darauf hinweist, wie man sich des Vermächtnisses zu bedienen hat.
Von Kain über Christus führt ein und dasselbe Zeichen zu dem Menschen am Kreuz,
"ohne Geschlechtsliebe, ohne Eigentum, ohne Vaterland, ohne Streit, ohne Arbeit, der
freiwillig stirbt und die Idee der Menschheit personifiziert." Die folkloristischen
oder nationalen Erzählungen bilden den zweiten Zyklus. Zwei schwarze Romane, mit die
besten von Masoch, handeln von mystischen Sekten in Galizien und erreichen ein Stadium der
Angst und der Spannung, wie man es selten findet: «Die Seelenfischerin» und «Die
Gottesmutter».
Gedanken zu «Venus im Pelz»
In Platons «Symposion» läßt Sokrates Diotima ihn in das Mysterium der Liebe
einführen: Der erste Schritt ist die Bewunderung und Liebe eines schönen Körpers, was
zu schönen Gespräche führt. Der nächste Schritt ist die Erkenntnis, daß die
Schönheit des Einzelnen sich in der Schönheit aller Körper spiegelt. Dies führt den
Liebenden hinweg von der anfänglichen Ausschließlichkeit und sieht Schönheit nicht nur
in der Äußerlichkeit, sondern auch in der Seele ausgedrückt. Dies führt zu
Gesprächen, die Jünglinge reifen lassen. Und der Liebende kann den nächsten Schritt
gehen und Schönheit in den täglichen Pflichten und den gesetzen und Traditionen und die
Verwandtschaft aller Schönheiten erkennen. Von hier führt der Weg zur Erkenntnis der
Schönheit des Wissens und zur Philosophie. Der, der diese Schritte durchlaufen hat,
erfaßt die Ewigkeit und Unwandelbarkeit des Schönen.
Auch für Sacher-Masoch ist die Kontemplation der Schönheit der Weg zur Spiritualität.
Er scheut zurück vor der sexuellen Annäherung des Stubenmädchens. Dagegen versinkt er
in den Anblick der Marmor-Büste der Venus, wie auch Baudelairs Schönheit
sich als ein Traum aus Stein beschreibt: sie ist kalt und weiß wie Schnee und
Schwäne, sie haßt die Bewegung, wobei Baudelaire Théophile Gautier folgt, dem «Les
Fleurs du Mal» gewidmet sind und der in einem autobiographischen Essay schrieb: Ich
zog immer eine Statue einer Frau und Marmor dem Fleisch vor. Severin ist ein
Übersinnlicher, bei dem alles in der Phantasie wurzelt. Kunst, Stilisierung,
das Bleibende und Refklektierte der Kultur, ist die Grundlage des Masochismus. In
Sacher-Masochs Sicht verewigen die plastischen Künste ihren Gegenstand, den sie in einer
Geste oder einer Stellung festhalten: diese Peitsche oder dieser Degen, die sich nicht
senken, dieser Pelz, der sich nicht öffnet, dieser Absatz, der niemals tritt, so als habe
der Künstler auf die Bewegung verzichtet, um ein tieferes, den Quellen des Lebens und des
Todes näheres Warten auszudrücken. Eine Neigung zu erstarrten, wie photographisch
gestandenen oder gemalten Szenen drückt sich in dem Roman Sacher-Masochs überall aus:
<Bild> Und als sie dann aus dem Bade stieg, und die silbernen Tropfen und das rosige
Licht rieselten nur so an ihr herab - eine stumme Verzückung umfing mich. Ich schlug die
Linnen um sie, ihren herrlichen Leib trocknend, und jene ruhige Seligkeit blieb mir jetzt
auch, als sie wieder, den einen Fuß auf mich, wie auf einen Schemel setzend, in dem
großen Sammetmantel auf den Polstern ruhte, die elastischen Zobelfelle sich begehrlich an
ihren kalten Marmorleib schmiegten, und der linke Arm, auf den sie sich stützte, wie ein
schlafender Schwan, in dem dunklen Pelz des Ärmels lag, während ihre Rechte nachlässig
mit der Peitsche spielte.
Zufällig glitt mein Blick über den massiven Spiegel an der Wand gegenüber, und ich
schrie auf, denn ich sah uns in seinem goldenen Rahmen wie im Bilde, und dieses Bild war
so wunderbar schön, so seltsam, so phantastisch, daß mich eine tiefe Trauer bei dem
Gedanken faßte, daß seine Linien, seine Farben zerrinnen sollen wie Nebel. <...>
Der Gedanke, daß diese außerordentliche Schönheit, fuhr ich sie mit
Begeisterung betrachtend, fort, diese herrliche Bildung des Gesichtes, dieses
seltsame Auge mit seinem grünen Feuer, dieses dämonische Haar, diese Pracht des Leibes
für die Welt verloren gehen sollen, ist entsetzlich, und faßt mich mit allen Schauern
des Todes, der Vernichtung an; dich aber soll die Hand des Künstlers ihr entreißen, du
darfst nicht wie wir anderen ganz und für immer untergehen, ohne eine Spur deines Daseins
zurückzulassen, dein Bild muß leben, wenn du selbst schon längst zu Staub zerfallen
bist, deine Schönheit muß über den Tod triumphieren!
Und Wanda befiehlt dem deutschen Maler, der sie als Madonna verewigte: "Ich will
Ihnen ein anderes Bild von mir zeigen, das ich selbst gemalt habe, Sie sollen es mir
kopieren ..."
Dieses Bild, das von Severin im Spiegel bewunderte, ist nicht eine falsche flache
Stilisierung wie das Bild der Madonna, sondern ist gekennzeichnet durch die Spannung, die
besteht zwischen Sehnsucht und Erfüllung, dieses Flüchtige etwas, dessen Erfassung der
masochistische Traum ist. Die Erfahrung des Wartens und der Spannung eignet dem
Masochismus wesentlich. Zu den masochistischen Szenen gehören wahre Riten physischer
Spannungen, wie Fesselung, Anbinden, Kreuzigung. Der Masochist ist moros, aber in der
ursprünglichen Bedeutung des Wortes: verzögernd, aufschiebend. Weder die Schmerzeslust
an sich, noch die Demütigung, Sühne, Bestrafung und Schuldgefühl erfassen das Wesen des
Masochismus. Auch der Masochist findet keine Lust am Schmerz. Die Form des Masochismus ist
das Warten. Der Masochist erlebt das Warten im Reinzustand. Das reine Warten teilt sich in
zwei gleichzeitige Ströme: der eine stellt dar, worauf man wartet, was aber wesentlich
auf sich warten läßt, immer verzögert, immer aufgeschoben ist; der andere das, was man
erwartet, das was allein die Ankunft dessen, worauf gewartet wird, beschleunigen könnte.
In diesem Rhythmus verwirklicht der Schmerz dann das Erwartete, während die Lust die
Erfüllung des Wartens ist. Der Masochist wartet auf die Lust wie auf etwas wesentlich
Verzögertes, Aufgeschobenes, und erwartet den Schmerz als die Bedingung, durch welche
sich die Lust (als physische und moralische) überhaupt erst einstellen kann. Er schiebt
also die Lust immer so lange auf, bis ein ebenfalls erwarteter Schmerz sie erlaubt. Die
masochistische Angst erhält so die doppelte Bestimmung eines endlosen Wartens auf die
Lust bei gleichzeitiger intensiver Schmerzerwartung.
Verneinung, Spannung, Erwartung, Fetischismus und Phantasma bilden die eigentümlich
masochistische Konstellation. Das Wirkliche fällt dabei nicht unter eine Negation,
sondern unter eine Art Verneinung, durch welche es dem Phantasma verfügbar wird. Die
Suspendierung erfüllt die gleiche Funktion für das Ideal und führt dieses in das
Phantasma über. Das Warten selbst ist die Einheit von Ideal und Wirklichkeit, die Form
oder Zeitgleichheit des Phantasmas. Der Fetisch ist das Objekt des Phantasmas, das
Phantasieobjekt schlechthin.
Neben der Zeitkoordinate, geprägt durch die Antizipation, die Teil des Phantasmas ist,
steht die "Raum"-Koordinate, die Beziehungskonstellation, der Vertrag, dessen
Grundlage auch abstrakt, der zweite Teil des Phantasmas, ist. Der Masochist ist nur
scheinbar durch Eisen und Stricke gefesselt: in Wirklichkeit bindet ihn nichts als sein
Wort.
Der Kulturalismus Masochs hat also zwei Aspekte: einen ästhetischen, der sich nach dem
Modell der Kunst und des suspense entwickelt, und einen juridischen, welcher sich nach dem
Modell des Vertrags und der Unterwerfung entwickelt. Bei Masoch sind es gerade das
Kunstwerk und der Vertrag, vermöge derer von der niedrigen Natur zu der großen,
empfindsamen und reflektierten Natur übergegangen wird.
Nicht wilde triebhafte Reaktionen prägen den Masochismus, sondern die feinfühlige
Einstimmung auf den andern. Die vertragliche Aufgabe des Selbst, das symbolisch in der
Namensänderung gefaßt ist, kann nur möglich werden in dem Ruhen des Selbst in dem
Vertrauen zu dem andern. Die vertragliche Ungleichheit setzt im Grunde Gleichheit voraus.
Doch der Ansatz von Sacher-Masoch schlägt fehl in dem bestehenden gesellschaftlichen
System, das auf Ungleichheit aufgebaut ist. Hier ist nur der Geschlechterkampf möglich,
das Hammer-oder-Amboß-Sein.
So weist «Venus im Pelz» nur auf eine Utopie hin, wie er selbst am Ende ausdrückt:
"Daß das Weib, wie es die Natur geschaffen und wie es der man gegenwärtig
heranzieht, sein Feind ist und nur seine Sklavin oder seine Despotin sein kann, nie aber
seine Gefährtin. Dies wird sie erst dann sein können, wenn sie ihm gleich steht an
rechten, wenn sie ihm ebenbürtig ist durch Bildung und Arbeit." (s. Gilles Deleuze)
Werke von Sacher-Masoch
Afrikas Semiramis. Hg. C.F. von Schlichtegroll. Dresden 1901.
Choses vécues. In: Revue politique et littéraire. Bd. 41-45. Paris 1888.
Don Juan von Kolomea. Galizische Geschichten. Hg. Michael Farin. Bonn 1985.
Die Einsamen. Mannheim 1891.
Die geschiedene Frau. Passionsgeschichte eines Idealisten. Leipzig 1870.
Grausame Frauen. Hinterlassene Novellen. Bd. I. Dresden 1901.
Die Gottesmutter. Leipzig 1883.
Graf Donski. Eine galizische Geschichte. Schaffhausen. 2. Aufl. 1864.
Der neue Hiob. Stuttgart 1872.
Die Ideale unserer Zeit. Roman in vier Bänden. Bern 1876.
Katharina II. Zarin der Lust. Biographischer Roman. Zürich 1982.
Der letzte König der Magyaren. Historischer Roman. jena 1870.
Jüdisches Leben in Wort und Bild. Mann heim 1892.
Lola. Geschichte von Liebe und Tod. Hg. Michael Farin. München 1985.
Die Messalinen Wiens. Geschichten aus der Gesellschaft. leipzig 1873.
Die Republik der Weiberfeinde. leipzig 1878.
Souvenirs. Autobiographische Prosa. Übersetzt von Susanne Farin. Hg. Michael Farin.
München 1985.
Ein weiblicher Sultan. Die Liebesnächte einer Despotin. München 1983.
Turandot. Novelle. In: K¨¨rschners Bücherschatz, No. 32. Berlin 1898.
Ueber den Werth der Kritik. Erfahrungen und Bemerkungen. Leipzig 1873.
Ungarns Untergang und Maria von Österreich. leipzig 1862.
Venus im Pelz. Frankfurt am Main 1980.
Das Vermächtniß Kains. Novellen. Erster Theil: Die Liebe. 2 Bde. Stuttgart 1870. Zweiter
Theil: Das Eigenthum. 2 Bde. Bern 1877.
Illustrationen zu «Venus im Pelz»
Fanny von Pistor und Leopold von Sacher-Masoch
Tizian (1477-1576): Venus mit Spiegel (1555)
Tizian (1477-1576): Mädchen mit Pelz (1534)
Peter Paul Rubens (1577 - 1640): Frau in Pelz