Die Rolle Hannas als einer bereitwilligen Vollstreckerin )des Willen Hitlers
In Der Vorleser von Bernhard Schlink sehen wir den Krieg und die Naziverbrechen aus der Perspektive Hannas. Hanna ist eine 36 Jahre alte Frau, die jetzt bei einem Nachkriegs-Prozeß eine Angeklagte ist. Im Herbst 1943 hatte Hanna ihre Stelle als Vorarbeiterin bei Siemens verlassen, um in die SS zu gehen. Während des Prozesses sagt Hanna, daß sie freiwillig zur SS gegangen ist. Sie ist bis Früjahr 1944 in Auschwitz und bis Winter 1944/45 in einem Lager bei Krakau gewesen. Eine Aufgabe ihrer Stelle war die Selektion von Gefangenen, die nach Auschwitz zurückgeschickt wurden.
Bei dem Prozeß muß Hanna ihren Anteil bei den Nazi-Verbrechen erklären. Sie spricht von den Gefangenen und den Frauen, die sie in ihren Tod schickte. Dazu kommt der Mord von Gefangenen in einer Kirche. Hanna und andere Aufseherinnen mußten die gefangenen Frauen auf einem "Todesmarsch" begleiten. Sie transportierten die Frauen zu einem anderen Lager, wo sie bestimmt umgebracht werden sollten. Sie haben in einer Kirche übernachtet und als sie schliefen, fielen Bomben. Die Kirche begann zu brennen und die SS-Frauen wußten nicht, was sie tun sollten. Hanna sagte, daß es ihre Pflicht war, Ordnung zu halten und so haben sie die Frauen in der Kirche eingeschlossen, damit niemand weglaufen konnte. Aber die Kirche ist bis auf den Grund verbrannt und die Frauen, die darinnen waren, haben geschrieen, bis sie tot waren. Hanna und die anderen SS-Frauen sind schuldig. Sie haben das Leben dieser Frauen auf ihrem Gewissen. Jetzt müssen sie für die Verbrechen, die sie begangen haben, bezahlen.
Hanna fragt den Richter auf Seite 107 und nochmals auf Seite 123 "Was hätten Sie denn gemacht?" Hanna will wissen, wenn andere dort gewesen wären, was sie an ihrer Stelle getan hätten? Aber das ist nicht die Frage. Hanna hat ihre Stellung im Leben gewählt. Sie hat ihre Position bei Siemens freiwillig verlassen, um in der SS trainiert zu werden. Wenn sie keine Schuld auf sich laden wollte, hätte sie bei Siemens bleiben sollen. Obwohl es nicht richtig ist zu sagen, daß alle Leute, die in der Nazi-Partei involviert waren, schlechte Leute waren, die alle schuld sind und sterben sollen, hat die Mehrheit der Leute in der NS-Partei sich freiwillig entschlossen, in der Partei zu sein und nicht gegen die Verbrechen und die Unmenschlichkeit zu kämpfen. Hanna hat ihre Schicksal entschieden, als sie die Frauen in der Kirche sterben ließ.
Die Rolle Michael Bergs in Der Vorleser ist auch ein interessanter Teil der Kriegsgeschichte. Er repräsentiert die andere Generation. Er versteht nicht völlig, was mit Hanna passiert ist und weiß nicht, ob er sich schuldig fühlen soll, weil er Deutscher ist und weil er weiß, was mit den Juden passiert ist. Michael wollte Hanna von ihre Bestrafung retten, aber er versteht nicht die Tiefe ihrer Handlung. Eine Generationsbresche existiert hier. Es ist unmöglich für Michael die Bedeutung von allem, das passiert ist, zu verstehen, weil er so jung ist. Er hat den Krieg nicht erlebt. Er war nicht in einem Lager und hat nicht bei der SS gearbeitet. Deshalb kann er diese Ereignisse nicht verstehen. Deshalb muß er begreifen, daß er nichts für Hanna tun kann. Sie muss allein leiden für die Entscheidungen, die sie allein getroffen hat. Und als sie wissen wollte, was jemand anderes an ihrer Stelle getan hätte, war dies die falsche Frage, denn die Antwort darauf ist egal. Das einzige, das irgendetwas bedeutet, ist, was sie gemacht hat. Sie hat die Möglichkeit gegen den Tod dieser Frauen zu kämpfen, aber sie hat freiwillig den Willen Hitlers befolgt und deshalb hat sie ihm nur geholfen, seine grausamen Idealen zu erreichen.