Jan-Erik Gürth
Leben in zwei Welten

Mitglied von OROPAX Chaos-Theater

Journalist. U.a. die folgenden Artikel über die USA in deutschen Zeitungen:

»Die Angst vor der Gewalt geht um - New Yorks Kampf gegen die steigende Kriminalität«
(Hannoversche Allgemeine Zeitung, 2. März 1991)

Zusammenfassung:
»Die Morgensonne scheint direkt ins Schlafwohnzimmer, brennt auf den Rückenm weckt einen endgültig auf. Ins 19. Stockwerk dröhnt der Straßenverkehr hinauf, als wohnte man zu ebener Erde. Es hat die ganze Nacht hindurch geregnet, nun, noch früh am Morgen ist der Himmel strahlend blau gewaschen.« ... »Die Vielfalt der Läden spiegelt die Herkunft der Menschen wider <...> -- sie alle symbolisieren eine Nachbarschaft, die täglich im Kleinen vorlebt, was ein Großteil der Fszination New Yorks ausmacht. Doch leider trügt der Schein <... > der Schein einer heilen, kleinbürgerlichen Nachbarschaft.« Auch hier gibt es viel Armut, Kriminalität und Drogen. Mord ist dem Viertel nicht fremd.
In den achtziger und frühen neunziger Jahren stieg die Kriminalität an, da Sozialprogramme gekürzt worden waren. Die Wirtschaftslage verschlechterte sich, Lebenshaltungskosten und Steuern stiegen. Die Lebensqualität in New York sank. »Fred Siegel, ein Geschichtswissenschaftler, bestätigte den Trend: “Die Leute ziehen nicht nur aus New York weg, weil die Verhältnisse so schlecht sind, sondern vor allem, weil sie nicht daran glauben, daß sich daran so bald etwas ändern wird.” <...> Immer mehr New Yorker sind Gefangene hinter ihren mehrfach verschlossenen Haustüren, fürchten sich draußen allein bei Dunkelheit oder in der U-Bahn und kommen so immer seltener in den Genuß der vielen Möglichkeiten, wegen derer sie ursprünglich oft nach New York gezogen waren. Der “Big Apple”, bis vor kurzem noch ein paradiesischer Sündenapfel, ist zu einem sauren Apfel geworden, in den immer weniger Menschen beißen möchten.«
Der Ruf nach mehr Polizei wird immer lauter -- vor allem nach dem Mord an dem 22jährigen Toursiten Brian Watkins aus Utah, der mit seiner Familie wie jedes Jahr nach New York gekommen war, um das US-Open-Tennisturnier zu besuchen.
»Hat New York noch eine Zukunft?«


» Schüsse auf dem Schulhof - Immer häufiger greifen amerikanische Teenager zur Waffe«
(Hannoversche Allgemeine Zeitung, 23. Mai 1992)

Zusammenfassung:
»Die Thomas Jefferson High School im Stadtbezirk Brooklyn erinnert von außen an ein Gefängnis.« An den Türen findet man Zettel mit der Aufschrift: »Waffen sind nicht erlaubt in den städtischen Schulen New Yorks.« ... »Alle Personen, die dieses Gebäude betreten, müssen sich einer Kontrolle mit Metalldetektoren unterzziehen.« Trotzdem aber gibt es Morde. So erschoß der 15jährige Khalil Sumpter seine beiden Mitschüler Ian Moore, 17, und dessen Freund Tyrone Sinkler, 16. »Beide waren auf der Stelle tot. Die Tat ereignete sich zur Unterrichtszeit in einem der Korridore, nur wenige Meter von zwei Ploizisten entfernt, die in der Schule routinemäßig patrouilieren.«
Auch im November 1991 wurde bei einer Schießerei ein Schüler getötet und ein Lehrer schwer verwundet. »50 Schüler von “Jeff” haben in den letzten fünf Jahren ihr Leben gelassen.«
Die Gegend, wo die Schule liegt, ist trostlos. »Neben müllüberhäuften Trümergrundstücken ragen trostlose Mietskasernen in den Himmel. Drogen, Gewalt, Armut, Arbeits-, Obdachlosigkeit und Aids bestimmen den Lebensrhytmnus. Schüsse fallen täglich.« Hier haben die Kinder, im Gegensatz zu »weißen« Vororten, das Träumen verlernt.
»Ian Moore, eines der beiden Opfer von Brooklyn, hat ein Gedicht geschrieben, das von diesem Gefühl erzählt: “Ich habe Angst vor dem Tod, weil ich nicht weiß, was danach kommt. Wenn ich sterbe, wird man sich an mich erinnern? Der Tod kommt jederzeit, egal, wie hoch du die Leiter schon hinaufgeklettert bist.”«
Nicht einmal die Hälfte der Schüler bleiben bis zum Abschlußdiplom in der Schule. Ein Viertel der Schüler fehlt jeden Tag in der Schule. Es gibt besondere »Trauerzimmer«, in denen die Jugendlichen den gewaltsamen Verlust von Freunden gemainsam mit Pädagogen verarbeiten können.
Gründe für dieses Morden sind u.a. »die Mentalität der amerikanischen Gesellschaft, die Gewalt verherrlicht wie kaum ein anderes angeblich “kultiviertes” Land. Fernsehen und Kino reflektieren die Realität. Rambo und Golfkrieg sprechen Bände. Hinzu kommt die trostlose Lage in den Elendsvierteln, die in vielem eher an Dritte-Welt-Länder gemahnen als an eine reiche Industrienation. Dort wächst die Hälfte der Kinder aus afrikanisch-amerikanischen Familien ohne Vater auf. Oft ist die Mutter selbst noch nicht volljährig und ohne Arbeit.« ... Vor allen Dingen aber ist es die ichsüchtige Politik der achtziger Jahre gewesen, die Sozialprogramme beschnitten hat. Auch Schüler wurden »Dealer«. »Töten verkam zur Banalität. Waffen finden sich heute nicht mehr nur in den Händen krimineller Teenager; auch für die übrigen jungen Slum-Bewohner sind sie zu einer Frage der Selbstverteidigung und des Prestiges geworden. Nur mit einer Waffe hat man unter Gleichaltrigen wirklich Macht und findet Bewunderung. Wo früher Streitereien auf dem Schulhof mit Fäusten oder Messern ausgetragen wurden, greifen die Jugendlichen heute zu Revolver oder Psitole.«
Man mißtraut allen. Man verläßt sich nur auf sich selbst, man schützt sich selbst - nach der Art der Cowboyhelden. »Allein die Waffe läßt einen unverwundbar erscheinen. Sie dient dem Selbstschutz, ist Zeichen von Mut, aber auch Mode.« Man kann Waffen an jeder Straßenecke kaufen. Der illegale Handel blüht.
»”Das recht des Volkes auf das Tragen von Waffen darf nicht eingeschränkt werden,” lautet der zweite Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung von 1791. Im Geschichtsunterricht der Thomas Jefferson High School in Brooklyn lernen die Teenager, daß der Namenspatron ihrer Schule einer der führenden Köpfe des amerikanischen Freiheitskampfes war und Verfasser der Unabhängigkeitserklärung. Erfahren sie auch, daß er großen Einfluß auf die Verabschiedung der Zusatzartikel hatte?«

Vorträge über Deutschland in den USA und über die USA in Deutschland.

Mitarbeiter des Sender Freies Berlin. Verantwortlich für die Sendung Multi-Kulti.