Die Videokonferenz mit Ingo Schulze

wpe3.jpg (13944 bytes)      Am 20. Oktober hatten die Colgate Studenten die Möglichkeit, ein Gespräch mit Herrn Schulze zu führen.  Schulze beantwortete ihre Fragen und sprach über die Entstehung seines Buchs, das Glück, das West/Ost Verhältnis, die Rolle der Literatur (seiner Meinung nach) und dem Kommunismus.
     Am Anfang erklärte Herr Schulze, daß seine Geschichten   nicht von ihm erlebt wurden, und sagte, daß  er nicht den Wunsch hat, die meisten dieser Geschichten oder dieser 'Augenblicke des Glücks' zu erleben.   Dann erkärte er, wie er eigentlich nach Rußland kam.  Es war nur Zufall, er hörte die Worte 'Petersburg' und 'Raus' und entschied sich dorthin zu fahren.  Herr Schulze schrieb schon immer gern, aber früher hatte er nicht viel Zeit dafür.   In Petersburg fing er an zu schreiben und irgendwann kam er auf die Idee, daß er über St. Petersburg schreiben sollte.  Er begann Skizzen zu schreiben - wie man Brot kauft oder wie man Geld wechselt.  Er beschrieb auch die Schwierigkeiten die er in Petersburg hatte.  Dann erweiterte er diese Skizzen bis zu einzelnen Geschichten, die allmählich enstanden. 
     Vom kreativen Prozess erklärte er, daß er niemals die Handlung von einem Roman oder einer Geschichte hat,  sondern er fängt mit einem Bild in seinem Kopf an, oder einem Wort, das jemand ausspricht.  Die Geschichten sind vom Leben organisiert und aufgebaut.  Wenn er eine ungefähre Richtung hat, dann schaut er, wie die Geschichte sich entwickelt. Er beginnt praktisch einen Dialog mit den Charakteren zu haben.  Dann, wenn er das Gefühl hat, daß die Geschichte lebt, ist er damit fertig.  Noch bemerkungswert ist seine Idee, daß man viel lesen muß, um schreiben zu können.  Obwohl er den Prozess seines Schreibens genau und gut erklärte, sagte er trotzdem, daß der Prozess schwer zu beschreiben ist.

Er sprach auch von seinen Eindrücken, als einer aus Ostdeutschland, der nach Rußland kam.  Nur ein paar Jahre früher hat er den Übergang der DDR in ein vereinigtes Deutschland erlebt.  Er fand aber die Wende von Kommunismus zu Kapitalismus in Rußland viel krasser und überhaupt nicht so schnell.   Seine Stellung in Rußland war auch ungewöhnlich.  In Rußland repräsentierte er den Westen.  Aber er war im Herzen ein 'Ossi', der nur wenig Erfahrung in der Welt der westlichen Wirtschaft hatte.  Wie ich es verstehe, entstehen aus solchen eigenartigen Situationen manchmal Unsicherheitsgefühle. Man weiß nicht, wie man sich benehem soll, und man versteht nicht, wie die anderen sich so benehmen können.  Man kann einfach nicht von seiner Perspektive her  die Situationen begreifen und verstehen, und man weiß nur, daß es da eine Ungleichheit gibt.  Solche Situationen sind die Schattenseiten.  Herr Schulze sagte, daß die Literatur tuatig wird, wo der Schatten fehlt, und sie will das Licht rekonstruieren.   Diese Gefühle führten meiner Meinung nach zu der Intensivität seines Schreibens.

Ein anderes Thema bei der Videokonferenz war das Thema Glück.  Herr Schulze fing mit der Frage an: "Wo ist denn eigentlich das Glück in diesem Buch?"  Dann sagte er: "Ich denke zuletztlich, daß man.... in jeder Geschichte Glück für irgendwen finden kann, das muß nur nicht den eigenen Vorstellungen von Glück entsprechen.  Das Schwierige und wahrscheinlich auch das Gute ist, daßes auf der Welt verschiedene Vorstellungen von Glück gibt. Und das Schwierige ist, wenn jemand zu wissen glaubt, womit alle anderen auch glücklich sein könnten."   Er sagte, daß, wenn er gefragt würde, worum es in seinem Leben geht, er antworten würde, daß es darum geht, daß man möglichst glücklich ist.  Auch über das Glück sagte er, daß es immer kurzzeitig ist.  Niemand kann immer glücklich sein, deswegen schreibt er über Augenblicke des Glücks. 
     Er erklärte wie das Glück nicht über einen Inhalt zu definieren ist, sondern es ist über Vergleiche, Unterschiede zu fassen.  Als Beispiel erwähnte er einen Autor, der schreibt, daß auch im Konzentrationslager man Glück finden könnte.  Das Leben war furchtbar, aber manchmal hatte einer Zeit sich mit einem Freund zu treffen.  Und in diesem Moment konnte er glücklich sein.  Die Geschichten, die er erzählt, enthalten auch solche Glückmomente.  Als Schriftsteller erhofft er, daß der Leser in den Geschichten nicht nur seine eigene Vorstellung von Glück irgendwo wiedererkennen wird, sondern auch, daß er annerkennt, daß es andere Vorstellungen von Glück gibt.  Vielleicht kann der Leser etwas hier über Glück lernen.
   
  Rußland und das Glück sind Themen des Buchs und der Kommunismus ist auch eins, wovon er auf der Vidokonferenz redete.  Herr Schulze wuchs, wie schon gesagt, in der DDR auf undwurde davon geprägt.  Er sagte, daß er niemals aus der DDR ausreisen wollte.  In solch einer ausgeprägten Umwelt kannte er nichts anders.   Er nahm an den kommunistichen Jugendorganisationen teil und war auch in der Armee, aber zwischen ihm und dem Kommunismus  entstand eine Distanz. Er war zum Beispeil nicht ein Parteimitglied.  Jetzt wenn er zurückschaut, versteht er, daß damals die Leute keine freie Wahl hatten.  Das war natürlich negativ, aber damals gab es auch etwas Positives.  In der DDR, erklärte Herr Schulze, waren die Leute frei von Angst.  Sie hatten genug Arbeit.  Jeder war versichert und nach eine Ausbildung bekam jeder eine Arbeitsstelle.     
     Er war nicht unglücklich in der DDR, aber heute hat er kein Nostalgie danach.  1989 dachte er nicht, daß die DDR sich mit der Bundesrepublik Deutschlands vereinigen würde.  Er ahnte schon, daß der Kapitalismus und die Demokratie den Sozialismus ersetzen würden, aber daß die Grenze beseitigt würde, daran dachte er einfach nicht. 

In Verbindung mit dem Glück, erklärt er, wie problematisch es ist, wenn jemand glaubt zu wissen, was das richtige Glück ist und die Macht hat, das durchzusetzen.  Die sozialistische Utopie machte das, aber viele hatten darunter gelitten.
   

Am Ende sprach er von der Literatur in der DDR und sagte, daß es nicht so eingeschränkt war, wie die Leute glauben.  Vielleicht war es nicht leicht ein Werk von Kafka zu finden, aber es war möglich.  Auch sagte er, in dieser Zeit sind gute Werke entstanden.  Am Ende waren alle zufrieden mit der Konferenz und dankbar, daß Herr Schulze mit uns sprechen konnte.

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